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Clash der Generationen bei der EM: Der Schweizer Xherdan Shaqiri zeigt, wie wertvoll Erfahrung sein kann
Bei der EM ist die Zukunft des Fußballs bereits deutlich zu erkennen. Aber ohne die Alten wie Xherdan Shaqiri, dem gegen Schottland ein Traumtor gelang, geht es auch noch nicht. Eine Analyse.
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Yann Sommer litt für einen kurzen Moment unter leichten Orientierungsschwierigkeiten. Der Torhüter der Schweizer Nationalmannschaft befand sich am anderen Ende des Fußballplatzes, weit weg vom Ort des Geschehens also. „Warum schießt der jetzt?“, fragte sich Sommer. „Bitte nicht!“ Dann erkannte er, wer der war. „Es ist halt Shaq. Es ist einfach Shaq.“
Shaq, mit bürgerlichem Namen Xherdan Shaqiri, 32 Jahre alt, Profi bei Chicago Fire in den USA, hatte den Ball nach einem Fehlpass von Anthony Ralstom aus 22 Metern, aus vollem Lauf und unbesehen in den Winkel des schottischen Tores gewuchtet.
Wobei: Unbesehen stimmte nicht. „Ich habe schon kurz davor geschaut, wo der Torhüter ist“ berichtete Shaqiri, der Mitte der ersten Hälfte mit seinem Traumtor den 1:1-Endstand gegen Schottland erzielt hatte. „Er hat schon perfekt gepasst, da oben links.“
Es war, wie sein alter und ewiger Weggefährte Granit Xhaka, der Kapitän der Schweizer, erklärte, „ein typisches Shaqiri-Tor“: spektakulär, wild, irgendwie unmöglich. „Es war nicht das erste Mal, dass ich so ein schönes Tor geschossen habe“, sagte Shaqiri selbst. Und trotzdem ist es eine Erfahrung, von der er nie genug kriegen kann. „Es ist sehr speziell, wenn du ein Tor schießt für dein Land“, erklärte er. „Es ist ein ungewöhnlich schönes Gefühl. Ich genieße das jedes Mal.“
10seiner 32 Länderspieltore hat Shaqiri bei WM- und EM-Endrunden erzielt
Shaqiris Treffer war nicht nur ästhetisch besonders wertvoll. Er sicherte den Schweizern auch das Unentschieden gegen die unbeugsamen Schotten, den vierten Punkt im zweiten Gruppenspiel der Fußball-Europameisterschaft und damit aller Wahrscheinlichkeit den Einzug ins Achtelfinale des Turniers. Seit der Aufstockung des Teilnehmerfeldes auf 24 Mannschaften haben vier Punkte immer gereicht.
Nationaltrainer Murat Yakin hatte Shaqiri vor der Partie gegen Schottland als „Mann der besonderen Momente“ bezeichnet. Nach der Partie sagte er: „Jeder hat heute gesehen, dass er genau für solche Momente lebt, ein hervorragendes und wunderschönes Tor.“
Mit dem Instinkt eines Vollstreckers. Shaqiri nahm den Ball aus vollem Lauf und wuchtete ihn in den Winkel.
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Man konnte Yakins Aussage natürlich auch so verstehen, dass Shaqiri im fortgeschrittenen Fußballeralter und im Endstadium seiner Karriere in einer international allenfalls zweitklassigen Liga ganz sicher kein Mann mehr für die volle Distanz ist. „Schweizer Maskottchen“ hat ihn die „Neue Zürcher Zeitung“ vor dem Turnier genannt. Aber das war weniger despektierlich gemeint, als es klang, denn: „Was wären die Schweizer denn ohne ihn? Eine recht gewöhnliche Fußballmannschaft.“
Shaqiri hat bei großen Klubs gespielt: bei Bayern, bei Inter, in Liverpool. Aber es ist alles ein bisschen weniger geworden bei ihm. Der Körper spielt nicht mehr mit, die Verletzungen häufen sich. In Chicago stand Shaqiri in der laufenden Saison gerade mal in der Hälfte der möglichen Spielzeit auf dem Feld. Ganze zwei Tore hat er erzielt, beide per Elfmeter.
Es ist sehr speziell, wenn du ein Tor schießt für dein Land. Ich genieße das jedes Mal.
Xherdan Shaqiri, Schweizer Nationalspieler
Ungeachtet dessen hat sich Nationaltrainer Yakin vor der EM als „der größte Fan von Xherdan“ geoutet. Trotzdem ließ er ihn im Auftaktspiel gegen Ungarn zunächst auf der Bank. Gegen die Schotten stand Shaqiri dann etwas überraschend in der Startelf, auf dem Papier als verkappter Mittelstürmer.
Natürlich ist Shaqiri, klein und kompakt von Statur und eigentlich im offensiven Mittelfeld zu Hause, kein typischer Mittelstürmer. Trotzdem, so sagte Kapitän Xhaka, sei es ein „super Plan von Muri“ gewesen, „ihn da vorne zu bringen“.
Bei seinem Treffer gegen die Schotten bewies Shaqiri den Instinkt eines Vollstreckers. Direkt zu schießen, „das war die einzige Entscheidung, die er treffen konnte“, sagte Yakin. „Wenn er den Ball erst annimmt, wird er von zwei Gegenspielern verteidigt.“
In nun 124 Länderspielen hat Shaqiri 32 Tore erzielt, zehn davon bei Welt- und Europameisterschaften. Aktuell – oder besser gesagt bis zum ersten Tor von Cristiano Ronaldo bei der EM in Deutschland – ist der Schweizer der einzige Spieler, der seit 2014 bei jedem großen Turnier getroffen hat. „Das ist schon sehr speziell“, sagte Shaqiri. „Ich bin auch stolz darauf.“
Die Jungen drängeln sich nach oben
Es sind Spieler wie er, die diese Europameisterschaft auch zu einem Clash der Generationen machen. Der Messi-Ronaldo-Dualismus neigt sich dem Ende zu, die Zukunft des internationalen Fußballs ist bereits mehr als schemenhaft zu erkennen. Jungstars wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz bei den Deutschen, Jude Bellingham bei den Engländern, Lamine Yamal bei den Spaniern und Arda Güler bei den Türken, alle Anfang 20 oder jünger, sind längst prägende Figuren ihrer Mannschaften geworden.
Andererseits geht es ohne die Alten offenbar auch noch nicht: ohne Toni Kroos, 34, und den Franzosen N’Golo Kanté, 33, die beide nach langer Länderspielabstinenz für diese EM reaktiviert worden sind. Ohne die beiden Portugiesen Ronaldo, 39, und Pepe, 41, der nun der älteste jemals bei einer EM eingesetzte Spieler ist. Und ohne Shaqiri und Xhaka bei den Schweizern.
Im November 2010 ist der damals gerade 18 Jahre alte Xhaka bei seinem Debüt in der Champions League für den gerade 19 Jahre alten Shaqiri eingewechselt worden. Knapp 14 Jahre später stehen sie immer noch gemeinsam für die Nationalmannschaft auf dem Platz. Und vor allem sind sie immer noch wichtig.
Xherdan Shaqiri ist am späten Mittwochabend gefragt worden, ob er seine Torserie denn auch bei der WM 2026 fortzusetzen gedenke. „Hoffentlich“, antwortete er.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de