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Von der Brache zur Drehscheibe: Wie Erneuerbare Energien den Osten retten sollen

Von der Brache zur Drehscheibe: Wie Erneuerbare Energien den Osten retten sollen

© dpa/Stefan Sauer

Von der Brache zur Drehscheibe: Wie Erneuerbare Energien den Osten retten sollen

Die Bundesregierung betont, wie wichtig grüner Strom für die Wirtschaft im Osten ist. An der Ostsee kann man die Zukunft erahnen – und auch, woran der Plan hakt.

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Auf der Brachfläche neben dem Kernkraftwerk Lubmin sprießen heute Ackersenf und Strandkamille zwischen grauen Betonplatten. Die längst abgeschalteten DDR-Atommeiler nebenan werden seit Jahrzehnten zurückgebaut. Auf der anderen Seite des Hafenbeckens der Gemeinde enden die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2. Gas strömt hier, zwischen Greifswald und Usedom, längst nicht mehr. Der Himmel ist weit; vieles war einmal.

Dieses Lubmin soll, so stellt es sich die Bundesregierung vor, in wenigen Jahren eines der wichtigsten Energiedrehkreuze Deutschlands sein. Statt Atomkraft oder russischem Gas soll an dem unscheinbaren Ostseehafen grüner Wasserstoff in rauen Mengen hergestellt und vor allem importiert werden.

Lubmin, Ort der Visionäre

Erstens durch eine neue Pipeline auf dem Ostseegrund. Zweitens über die Lieferung von Ammoniak und das Umwandeln in Wasserstoff. Die dafür notwendige Anlage wird die größte weltweit, so stellt es sich der Investor Stephan Knabe aus Potsdam vor. Über Lubmin soll die deutsche Industrie maßgeblich mit grüner Energie versorgt werden. Lubmin, Brache für Visionäre.

Aus „war einmal“ soll hier im nordöstlichen Zipfel der Republik „wird schon wieder“ werden. So lautet der Plan der deutschen Bundesregierung – und besonders ihres Ostbeauftragten. Der SPD-Politiker Carsten Schneider verbringt einen großen Teil seiner Arbeit im Kanzleramt mit Energiepolitik. Ja, weil der Osten besonders vom Strukturwandel – also dem Abschied von Kohle und Gas – betroffen ist, aber auch, weil der Thüringer die grüne Energie für ein Aushängeschild der Ostländer hält. Aufschwung durch Sonne und Wind. Kann das gelingen?

Von der Brache zur Drehscheibe: Wie Erneuerbare Energien den Osten retten sollen

Carsten Schneider (SPD), Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, schaut lieber mit einem Lächeln als mit Verzweiflung auf Ostdeutschland.

© Marcus Brandt/dpa

Ostdeutschland hat schon jetzt einen Vorsprung bei Erneuerbaren Energien. Bis Mai 2024 waren die ostdeutschen Flächenländer für fast 30 Prozent der in Deutschland produzierten grünen Energie verantwortlich. Das Statistische Bundesamt spricht von einer Vorreiterrolle in diesem Bereich – denn nur 15 Prozent der Menschen leben im Osten. Bundeskanzler Olaf Scholz formulierte es Mitte Juni so: Er wolle für alle in Deutschland eine sichere Energieversorgung herstellen. „Mit dem gerade im Osten Deutschlands so erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energien wird das gelingen“, versprach Scholz.

Boomt der Osten wegen grüner Energie?

Der Ostbeauftragte geht noch einen Schritt weiter: Der Osten boome laut grüner Energie. Laut Schneider würden zentrale Industrieprojekte im Osten vor allem wegen der Vorreiterrolle bei Erneuerbaren Energien gelingen. Als Beispiele führt er Tesla in Grünheide, Intel in Magdeburg, der chinesische Batteriehersteller CATL in Thüringen oder Mikrotechnologieunternehmen in Dresden an. Ostdeutschland sei „Zentrum der Halbleiterindustrie in Europa“, sagte er vor einiger Zeit dem Tagesspiegel. Und diesen Satz: „Viele Ostdeutsche befinden sich bald auf der Sonnenseite des Kapitalismus.“

Tatsächlich wächst die ostdeutsche Wirtschaft zuletzt stärker als in Gesamtdeutschland. Laut der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts soll die ostdeutsche Wirtschaft 2024 um 1,1 Prozent wachsen. Dagegen sind die Erwartungen bundesweit mit 0,4 Prozent deutlich geringer. Allerdings dämpft Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) die Erwartungen. „Das aktuell stärkere Wachstum in Ostdeutschland ist eher auf Einmaleffekte zurückzuführen“, sagt der Wirtschaftsforscher. Dazu zählen etwa Großansiedlungen wie Tesla oder mehr Rüstungsaufträge für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern.

Holtemöller sagt: „Um dauerhaft Wirtschaftswachstum zu erreichen, reicht grüne Energie nicht.“ Es brauche auch Kapital und Arbeitskräfte. „Vor allem Arbeitskräfte werden in Ostdeutschland knapper“, sagt der Wirtschaftsforscher. In den nächsten 20 Jahren wird die Zahl der Menschen in Ostdeutschland um mindestens 560.000 zurückgehen. Das sind acht Prozent, trotz Zuwanderung. 

In Lubmin arbeiten bisher nur fünf Menschen

Zumindest für die alte Brachfläche in Lubmin scheint das kein Problem zu sein: Die Betreiber der Gas- und Wasserstoffpipelines hier beschäftigen auf dem Betriebsgelände fünf Mitarbeiter – der größte Teil der Arbeit funktioniert vollautomatisch. Doch zumindest das Kapital für den Import und die Produktion des grünen Wasserstoffes hier kommt nicht aus Dubai, den USA oder München, sondern aus: Potsdam.

Ich gehe nicht davon aus, dass Ostdeutschland durch mehr grüne Energie das Power House des Landes wird.

Oliver Holtemöller, Professort für Volkswirtschaftslehre

20 Kilometer von Lubmin entfernt arbeiten drei Dutzend Engagierte im Ort Neuenkirchen an ihrer eigenen Energiewende. Sie haben sich zusammengetan, um die Dächer der Gemeinde mit Solarenergie zu versorgen – und irgendwann selbst daran mitzuverdienen. „Wir wollen Energie lokal erzeugen, lokal verbrauchen und auch privat finanzieren“, sagt Andreas Dinklage von der Energiegenossenschaft. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Anlagen aufs Dach, die Gemeinde beteiligt sich. In Ostdeutschland ist das Projekt noch immer ein Sonderfall: Nur rund 100 von 900 Energiegenossenschaften befinden sich im Osten.

Der Ostbeauftragte Schneider erklärt sich das auch damit, dass die Ostdeutschen von ihrem Vorteil bisher zu wenig profitiert hätten. Bisher werden Unternehmen und Bürger im Osten für den vielen grünen Strom, der bei ihnen vor der Tür produziert wird, nämlich bestraft. Die Netzentgelte sind dort besonders hoch, wo in der letzten Zeit viele Windkraft- und Solaranlagen entstanden sind – also besonders im Norden und Nordosten der Republik. „Bisher profitiert also der Münchner Zahnarzt von unserem grünen Strom, die Ostdeutschen zahlen obendrauf“, sagt der Ostbeauftragte. Doch es sei Besserung in Sicht: Ab 2025 solle die Bundesnetzagentur einen Vorschlag machen, der den Osten nicht mehr derart benachteilige.

Ist der Traum schon wieder aus?

Schneider wirbt, wo er kann, für die grüne Kraft aus dem Osten. Ohne Ostdeutschland keine Energiewende. Das alles sei „noch zu wenig positiv erzählt“, glaubt der Ostbeauftragte. Aber profitiert letztlich auch der Osten?

Wirtschaftsforscher Holtemöller ist skeptisch. „Ich gehe nicht davon aus, dass Ostdeutschland durch mehr grüne Energie das Power House des Landes wird“, sagt er. „Moderne Wasserstoffleitungen werden die Lebensverhältnisse nicht entscheidend ändern.“ Es müsse stattdessen mehr in Forschung und Entwicklung investiert werden, in Köpfe.

„Es nützt nichts, wenn grüner Strom da ist, aber niemand, der ihn verbraucht“, sagt Holtemöller. „Vereinfacht gesagt: Es braucht nicht neue Leitungen durch Ostdeutschland, sondern ostdeutsche Unternehmer, die mit neuen Ideen etwas entlang dieser Leitungen aufbauen.“ Nicht wenige Forscher sehen es wie er. Aus der Traum?

Der Ostbeauftragte, er will beweisen, dass es doch geht. Von seinem Vorgänger Marco Wanderwitz (CDU) blieben vor allem Beschimpfungen ostdeutscher AfD-Wähler in Erinnerung. Schneider dagegen macht sich auf, auch noch den letzten Skeptiker von seinem Plan für Ostdeutschland zu überzeugen. Nicht nur mit neuen Leitungen, nein, auch mit frischen Ideen.

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Greifswald. Nur wenige Kilometer entfernt von Lubmin steht hier ein Monstrum aus Spulen, Röhren, Leitungen, ein sogenannter Stellarator. Das Ziel: der Nachweis, dass mit Kernfusion im großen Maßstab Energie gewonnen werden kann. Das könnte den Strom aus Wind und Sonne ergänzen. Eine Weltrevolution, womöglich entwickelt im Osten. Carsten Schneider wäre das ganz recht. (mit dpa)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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