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Neue Schubkraft für Europas Wirtschaft: Draghi schlägt Investitionsinitiative à la Marshallplan vor

Neue Schubkraft für Europas Wirtschaft: Draghi schlägt Investitionsinitiative à la Marshallplan vor

© dpa/Wiktor Dabkowski

Neue Schubkraft für Europas Wirtschaft: Draghi schlägt Investitionsinitiative à la Marshallplan vor

Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi fordert von der EU eine koordinierte Industriepolitik, schnellere Entscheidungswege und massive Investitionen. Dafür brauche es neue EU-Schulden.

Von

  • Knut Krohn
  • Felix Kiefer

In Brüssel vermuten manche, dass Mario Draghi über Wasser gehen kann. Während der bedrohlichen Schuldenkrise wurde er 2011 zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank ernannt und nicht nur von seinen Anhängern danach als Retter der Eurozone gepriesen. Nun soll der Italiener mit seinen richtungsweisenden Ideen die Wirtschaft in der Europäischen Union wieder in Schwung bringen, die bedrohlich hinter den USA und China hinterherhinkt. 

Am Montag präsentierte Draghi seinen lange erwarteten Strategiebericht zur EU-Wettbewerbsfähigkeit, an dem er ein Jahr lang gearbeitet hat. Er habe die Aufgabe wohl etwas unterschätzt, räumte der Politiker in Brüssel freimütig ein, und erklärt damit auch, weshalb die Veröffentlichung immer wieder verschoben wurde.

Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft muss für die EU in den nächsten fünf Jahren höchste Priorität haben

Tanja Gönner, BDI

Darin fordert Draghi Reformschritte in historischem Ausmaß, um wirtschaftlich mit Wettbewerbern wie den USA und China Schritt halten zu können. Von der EU verlangt der Italiener einen Dreiklang aus einer koordinativen Industriepolitik, schnelleren Entscheidungswegen und massiven Investitionen.

Investitionen von bis zu 800 Milliarden pro Jahr nötig

In dem Bericht beziffert Draghi für die EU einen Bedarf von zusätzlichen Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspricht bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Das sei weit mehr als die ein bis zwei Prozent, die im Marshallplan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vorgesehen waren.

Ein Teil der erforderlichen enormen Investitionen werde durch bestehende nationale oder EU-Finanzierungsquellen abgedeckt. Doch seien möglicherweise neue gemeinsame Quellen erforderlich, heißt es in dem Bericht, der als Beispiele Investitionen in die Verteidigung und das Energienetz nennt. Dafür empfahl er die Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden wie zuletzt in der Corona-Pandemie.

Die Entscheidungsprozesse der EU seien überdies komplex und träge. Es bestehe Reformbedarf: „Dazu wird es erforderlich sein, die Arbeit der EU auf die dringendsten Probleme zu konzentrieren, eine effiziente politische Koordinierung hinter gemeinsamen Zielen sicherzustellen und bestehende Governance-Verfahren auf eine neue Art und Weise zu nutzen, die es den Mitgliedsstaaten, die schneller vorankommen möchten, ermöglicht, dies zu tun“, heißt es in dem Bericht.

Darin wurde vorgeschlagen, die sogenannte qualifizierte Mehrheitsentscheidung,- bei der es nicht notwendig ist, dass eine absolute Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür stimmt, auf mehr Bereiche auszuweiten und als letztes Mittel gleichgesinnten Ländern zu gestatten, bei manchen Projekten eigene Wege zu gehen.

Wirtschaftsverbände zufrieden

Laut Draghi hat die EU nach dem Verlust des Zugangs zu billigem russischem Gas mit höheren Energiepreisen zu kämpfen und kann sich nicht länger auf offene ausländische Märkte verlassen. Der frühere italienische Regierungschef erklärte, die EU müsse Innovationen ankurbeln, die Energiepreise senken und gleichzeitig die grüne Transformation vorantreiben. Zudem gelte es, die Abhängigkeit von anderen Ländern, insbesondere von China bei wichtigen Mineralien, zu verringern und die Investitionen in die Verteidigung zu erhöhen.

„Die Vorschläge von Mario Draghi geben wichtige Impulse, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken“, erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian. Der Wirtschaft sei besonders dann geholfen, wenn hohe Energiepreise, überbordende Bürokratie und eine schleppende digitale Transformation als Hindernisse der Wettbewerbsfähigkeit konsequent abgebaut würden.

Auch Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), lobte den Bericht: „Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft muss für die EU in den nächsten fünf Jahren höchste Priorität haben.“ Das Papier bringe das in ihren Augen sehr gut auf den Punkt. 

Von der Leyen offen für Draghi-Forderung nach neuen Schulden

Die Grünen sind ebenfalls zufrieden. „Die EU muss reformiert werden, wenn wir mit den USA und China mithalten wollen“, betont Rasmus Andresen, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. „Wir brauchen moderne und klimaresiliente Infrastruktur und einen stärkeren Fokus auf Innovationen.“ Und Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, erklärte zufrieden: „Mit der Beauftragung von Mario Draghi einen Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit zu erarbeiten, hat Ursula von der Leyen einen starken Impuls gesetzt.“

Weniger gefallen dürfte der CDU/CSU-Fraktion allerdings, dass auch die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei der Präsentation am Montag in Brüssel die Forderung Draghis nach „Instrumenten zur Gemeinschaftsfinanzierung“ offensiv unterstützte. Möglich seien auch sogenannte Eigenmittel der Union, zu denen Einfuhrzölle und die EU-Plastikabgabe zählen, sagte die Deutsche auf die Nachfrage. Auf diesem Weg hofft sie offensichtlich, den Widerstand der deutschen Bundesregierung gegen neue Gemeinschaftsschulden zu überwinden. Am Ende müssten allerdings die einzelnen EU-Mitgliedstaaten darüber abstimmen und sich entscheiden, sagte Ursula von der Leyen.

Mario Draghi kennt diesen komplizierten und meist langwierigen Ablauf in der Europäischen Union aus seiner Zeit als EZB-Chef sehr gut. Aus diesem Grund mahnte der Italiener zur Eile. Nicht nur die technologische Entwicklung sei rasant, sagte er, die Summen müssten deshalb in relativ kurzer Zeit investiert werden. Angesichts der Konkurrenz aus den USA und China warnte Draghi die Europäer vor einer „existenziellen Herausforderung“. Ohne höhere Produktivität könne Europa nicht „führend bei neuen Technologien, Leuchtturm der Klimaverantwortung und unabhängiger Akteur auf der Weltbühne“ sein.

Auch das europäische Sozialmodell sei dann nicht mehr finanzierbar, schreibt der Italiener. Das aber gelte es auf jeden Fall zu erhalten, denn die Stabilität und die Zukunft Europa basiere auf gemeinsamen Werten und Errungenschaften wie sozialer Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit und einem hohen Standard bei den öffentlichen Dienstleistungen. (mit Reuters)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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