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Ist Sean Penn das Klischee des alten weißen Mannes?: Das sind die Kino-News der Woche
Und wir sind im Sommerloch. Da ist Sean Penn als Erklärbär-Taxifahrer schon fast ein Highlight. Warum der aber lieber schleunigst den Mund halten sollte, lesen Sie hier.
„A Quiet Place: Tag Eins“ wurde stellenweise auf dem Teufelsberg in Berlin gedreht. Der Leise-sein-Horror um geräuschempfindliche Außerirdische bringt die genaue Portion Ruhe in die Kinosäle. Wem Horror nichts ist und von alten weißen Mansplain-Männern genervt ist, findet, wer hätte das gedacht, in der Mathematik sein Glück.
1 Die Gleichung ihres Lebens
Jede gerade Zahl, die größer ist als 2, ist Summe zweier Primzahlen. Diese These des Mathematikers Christian Goldbach von 1742 ist als „Goldbachsche Vermutung“ in die Annalen der Zahlentheorie eingegangen. Sie gehört zu den bekanntesten ungelösten Problemen der Mathematik.
Ausgerechnet „Goldbach“ zu beweisen ist der Forschungsgegenstand der Filmheldin Marguerite Hoffmann, die in Paris an der elitären „École Normale Supérieure“ promoviert. „Die Gleichung ihres Lebens“ also, der die 25 Jahre alte Forscherin in Anna Novions Drama ihr ganzes Sinnen und Trachten widmet. Zeit für Äußerlichkeiten wie ein schickes Studentinnen-Outfit bleibt da nicht.
Das Arthouse-Drama lässt keinen Zweifel daran, dass Forschung ein von hohem Konkurrenzdruck gezeichnetes Feld ist. Besonders als Lucas auftaucht, ein Doktorand aus Oxford, der ebenfalls bei Marguerites Prof Werner (Jean-Pierre Darrousin) an der Primzahlentheorie arbeiten will.
Als Lucas ihr öffentlich einen Rechenfehler nachweist, bricht Marguerite, die Logik deutlich besser kann als Emotionen und soziale Interaktion, mit Prof, Uni und Mathematik.
Sie kommt bei der Tänzerin Noa unter, eine Zufallsbekanntschaft, und lernt von ihr die zuvor komplett ignorierte Normalo-Welt kennen: Clubs, Sex und Glücksspiel, genauer gesagt Mah-Jongg. Ein ideales Wirkungsfeld für eine Mathematikerin.
Nur gut, dass Marguerite letztlich weder von der Goldbachschen Vermutung noch von Lucas die Finger lassen kann. Mathe-Studentinnen brauchen populäre Rolemodels in der Popkultur. Gunda Bartels
2 Daddio – Eine Nacht in New York
Am New Yorker Flughafen JFK steigt eine junge Frau (Dakota Johnson, Foto) zu dem Taxifahrer Clark (Sean Penn) in den Wagen. Der ist durch den Job zum Menschenkenner geworden und teilt sein Wissen zu gerne mit den Fahrgästen, woraus sich zwischen beiden ein sukzessive persönlicher werdendes, verbales Pingpongspiel ergibt.
Regisseurin und Drehbuchautorin Christy Hall gelingt es zwar in der Enge des Taxis ein hoch konzentriertes Kammerspiel zu inszenieren, doch stößt einem im Verlauf des Filmes zunehmend die stereotype Grundkonstellation auf.
Der Taxifahrer, der als Teilzeitpsychologe die junge Frau mit Fragen in die Enge treibt und ihr nicht nur die Welt, sondern auch ihr eigenes Verhalten erklärt, ist fleischgewordenes „Mansplaining“ – was irritierend unwidersprochen bleibt.
Während Sean Penn als schauspielerische Naturgewalt die Tiraden und Glückskeksweisheiten seines allwissenden Chauffeurs abfeuert, nimmt Dakota Johnsons Figur als junge, moderne Frau mit beruflichem Erfolg, schwieriger Familiengeschichte und ausgeprägtem Vaterkomplex auf der Rückbank nur zögerlich Gestalt an. Martin Schwickert
3 A Quiet Place
Die Invasoren fallen also vom Himmel wie Meteoriten, ihr Aufschlagpunkt ist New York City. Und plötzlich wird es in der Stadt, die niemals schläft, ganz still. Noch das kleinste Geräusch kann tödlich sein.
Die Prämisse des Überraschungserfolgs „The Quiet Place“ und dessen Fortsetzung war so einfach wie genial: Eine Familie muss sich gegen eine außerirdische Spezies verteidigen, die blind ist, aber mit einem hochempfindlichen Gehör ausgestattet. Ein konzentriertes Kammerdrama.
Das Prequel erklärt nun, wie alles begann, allerdings drei Nummern größer: als Sommerblockbuster, der das Original nie sein wollte. New York im Belagerungszustand ist ein generisches Endzeitszenario, wären da nicht Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o und Joseph Quinn, die daran erinnern, dass es in diesem Spektakel tatsächlich noch um Menschen geht.
Die todkranke Samira, ihre Therapiekatze und ihr anhänglicher Begleiter Eric müssen sich von Manhattan nach Harlem durchschlagen. Sein Ziel: ein Rettungsboot erreichen, das ihn von der Insel bringt. Ihr letzter Wunsch: eine Pizza bei ihrem Lieblingsitaliener. Auf dem Weg dahin: viele zähnefletschende Aliens. Andreas Busche
4 Elli – Ungeheuer geheim
Im Jahr 2004 entstand mit „Lauras Stern“ nach einem Kinderbuch von Klaus Baumgart und in der Co-Regie des Belgiers Piet De Rycker einer der besten deutschen Kinderanimationsfilme.
Die Erwartungen an die Verfilmung der Baumgart-Geschichte „Elli – Ungeheuer geheim“ durch De Rycker und seinen Co-Regisseur Jesper Møller sind dementsprechend hoch angesetzt. Doch, „Elli“ ist eine milde Enttäuschung.
Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Regisseure die Originalgeschichte von dem kleinen Gespenstermädchen mit Kuscheltier, das in einer Geisterbahn neue Freunde findet, ordentlich „aufgepeppt“ haben: mit einer absurden Story um eine KI, die Drohnen aussendet, um Gespenster, Monster und andere „Abnorme“ einzufangen und zu digitalisieren.
Das ermöglicht zwar Action-Sequenzen und soll vermutlich für einen internationalen Appeal sorgen, führt aber letztlich nur zu einer wirren und auf der Stelle tretenden Dramaturgie.
An der Zielgruppe der literarischen Vorlage, den Vorschulkindern, zuckelt der Film ohne Sinn für entsprechendes Timing geradewegs vorbei. Schade um die sympathischen Figuren. Lars Penning
5 Déserts – Für eine Handvoll Dirham
Mehdi und Hamid sind Freunde und arbeiten für ein übles Inkassounternehmen. In einer Schrottkarre fahren sie zu den entlegensten Orten Marokkos. Ein sinnloses Unterfangen, das mit herrlich absurden Situationen wunderbar unterhält.
Bis man begreift, dass die beiden ebenso arm dran sind. Nicht nur finanziell, auch menschlich. Der eine wird von der Familie seiner Zukünftigen ausgenutzt, der andere von seiner Frau ausgeplündert, verlassen und die eigene Mutter will, dass er die kleine Tochter verkauft. Alles scheint käuflich, jederzeit.
Und alle nehmen es desillusioniert hin. So wie das karge Land erodiert, pulverisieren sich Häuser, Menschen, jegliche Hoffnung. Die beeindruckenden Wüstenpanoramen deuteten es schon an: Regisseur Faouzi Bensaïdi geht es um mehr als eine Sozial-Burleske.
Mitten im Film wirft er die Dramaturgie über den Haufen und macht aus dem Roadmovie einen epischen Western mit großen Gefühlen. Ein Fiebertraum von Mehdi und Hamid, die in der Wüste festsitzen? Egal, alles besser als ihr wüstes Leben zuvor. Ingolf Patz
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de